SACRE

Lea Moro: SACRE
IN ZUCHT Festival, HZT Berlin, 24.April 2014 
veröff. 30.05.2014 von Mira Hirtz

Le Sacre du Printemps (dt.: die Frühlingsweihe) erzählt eine archaisch-dionysische Geschichte: Eine ekstatische Opferung für das Fortbestehen der Stammesgemeinschaft, deren Gleichgewicht durch ihre inneren Triebkräfte bedroht wird.  

Es geht um eine Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern Rollen zuweist und darum, diese Rollen mit der größtmöglichen Hingabe auszuführen. Nun war Le Sacre du Printemps 1913 eine Bühnenaufführung: Hier wurden die Rollen nicht nur ausgeführt, sondern auch aufgeführt. Die Inszenierung baute eine Distanz auf zur Hingabe, die zur glückenden Opferung nötig wäre. Und doch waren die TänzerInnen tatsächlich dort – ihre körperliche Präsenz war in der Uraufführung skandalös betont – und die Aufführung erzeugte, mit Musik, Tanz, Bühnenbild und Kostümen, Affekte, die sie inzwischen selbst zum Mythos gemacht hat und zu unzähligen Neuinszenierungen führte.  

Dieser Kontrast zwischen der erzeugten Welt auf der einen und der Offensichtlichkeit der Inszenierung auf der anderen Seite ist die Grundspannung jeder Kunst, im Besonderen der Kunst auf einer Bühne. Sich damit aber dezidiert auf einer Metaebene und durch eine Choreografie auseinanderzusetzen, das war die Idee der Uraufführung von Le Sacre du Printemps: Nijinski hatte zu der Musik Stravinskys eine Choreografie entwickelt, die nach den Möglichkeiten der Choreografie und des modernen Tanzes fragte und das anhand der Inszenierung eines Rituals. Denn auch hier gilt der Dualismus: Der Ursprung der Regeln des Rituals verbleibt immer uneindeutig, sie sind gegeben und gemacht.  

Was bedeutet es also, sich gut 100 Jahre später diesem Stück zu widmen, sowie es in den vergangenen Jahrzehnten so viele getan haben? Es bedeutet, sich einer Herausforderung zu stellen und es bedeutet, sich zu positionieren: Welches Verhältnis beschreibt die junge Choreografin Lea Moro in ihrem Solo SACRE zu ihren VorgängerInnen, zum Tanz und zu seiner Tradition? Und wie verortet sie das Rituelle in der heutigen Zeit und Gesellschaft?  

Lea Moro bezieht sich dezidiert auf Nijinski und auch auf Pina Bausch, analysiert und zitiert deren Repertoire an Bewegungen und Dynamiken, an Bildern und Requisiten. Der konkrete Bezug zu den vorangegangenen Inszenierungen ist für den einen mehr, für den anderen weniger offensichtlich. Ein Dossier gibt dem Publikum Informationen zur choreografischen Vorgeschichte des Stücks. Doch dass SACRE eine bestehende Tradition kommentiert, ist schon dadurch mehr als deutlich, dass Lea Moro überhaupt eine Choreografie im klassischen Sinne – mit klar tänzerischer Ästhetik und mit auf die Musik reagierenden Bewegungen – entwickelt.    


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Diese Klischeehaftigkeit kippt in einen ironischen Umgang mit dem untersuchten Material. Was ist diese Ironie? Sie baut eine Distanz auf zu einer Rolle, sie macht eine Rolle als solche sichtbar. Auch Lea Moro geht es um die Gleichzeitigkeit von offensichtlicher Inszenierung und der körperlichen Physis: Auf der Bühne sehen wir den SACRE LED-Schriftzug, der im schwarzen Bühnenraum schwebt und doch eigentlich ungelenk (oder quietschend) an nicht sichtbaren Fäden baumelt. Wir sehen einen Körper mit schwarzer Langhaarperücke und Bären-Shirt, der schwitzt und schwer atmet ob seiner anstrengenden körperlichen Praxis und wir sehen Zitate und Übertreibung. Wir sehen eine Performerin und wir sehen die Person Lea Moro, die in ihrer Rolle ein Klischeebild von Tanz und Choreografie aufgreift.  

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Wir sehen eben beides. Und mehr, als dass durch die Ironie eine tänzerische und choreografische Tradition belächelt wird, zeigt sie eine Differenz zu dieser vergangenen Zeit: 1913 suchte Nijinski, und damit teilte er das Programm der Avantgarde, den wilden Ursprung im Primitivismus, suchte er das Fremde, um die Kultur in Aufruhr zu versetzen. Er suchte nach Ekstase und Gemeinschaft und zeigte eine „radikale Rückkehr zum Körper“. Wie steht es heute mit den Themen, die in der Choreografie aufgezeigt wurden? Geht Lea Moro darüber hinaus auf die Tanzgeschichte zu referenzieren?  

Das Ritual der Opferung ist Entmündigung und Kontrolle zugleich: Die Gemeinschaft muss sich, will sie fortbestehen, der Forderung der Götter beugen, eine Frau auszuerwählen, die sie sich zu Tode tanzen muss. Die Gemeinschaft muss sich der sie übersteigenden Naturordnung unterwerfen, doch dadurch besitzt sie somit auch ein Mittel zur Kontrolle ihrer Reproduktion. So enthält das Ritual den Glauben an die Fähigkeit, dass Schicksal meistern zu können; es ist die Möglichkeit, sich durch menschliche Handlung und menschliches Wissen dem Kreislauf einzugliedern und zu überleben, solange man sich hingibt. Lea Moros Changieren zwischen dem sich verausgabendem Körper und ironischem Umgang bleibt genau an diesem Punkt unentschieden: Die Ironie ist letztlich das Scheitern, sich mit der großen Opfererzählung tatsächlich zu identifizieren und das Scheitern, an Hingabe zu glauben.  

Woher kommt diese Unmöglichkeit? Mal wieder durch die von Kapitalismus und Neoliberalismus geprägte Gesellschaft? Mit Sicherheit. In ihr ist Gemeinschaft, wie Nijinski und Pina Bausch sie inszenieren, ja bereits das Fremde in der Gesellschaft. Diese Unmöglichkeit ist auch, konkret auf den Kontext der Bühne bezogen, die Schwierigkeit der zeitgenössischen Choreografie und des zeitgenössischen Theaters, große Erzählungen zu verhandeln. Lea Moro zeigt also nicht nur eine Multitasking-Gesellschaft, deren Individuen inmitten ihrer vielen Fähigkeiten die Hingabe verloren haben. Sie zeigt auch, ob bewusst oder unabsichtlich, eine Erwartungshaltung auf: Können dramatische Affekte dem Publikum gegenüber nur noch in ironischem Gestus intendiert werden? Sonst wird sich die Choreografin vielleicht selbst der Lächerlichkeit preisgeben.  

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Die Distanzierung der Performerin zu ihrer Rolle wirft aber auch die Frage auf, was dann neben oder hinter dieser Rolle eigentlich existieren soll. Was soll das wahre, heilige Selbst sein, wenn nicht ebenfalls eine inszenierte Wirkung, von den ZuschauerInnen wahrgenommen und somit erst hergestellt? Die Distanzierung zur Rolle zeigt unser problematisches Verhältnis zur Authentizität, zur Identifikation und Hingabe. Und somit eine Krise von Sacre, von Heiligkeit und Opfer – welches in SACRE dann letztlich auch nicht klappt: Die Tänzerin liegt in steifer Pose auf dem Rücken wie ein im Schock erstarrtes Tier und fordert schließlich mit eigener Stimme selbst das Blackout. Die Bewegungen und Wege durch den Raum waren zwar aufeinander aufbauend, wirkten aber trotzdem beinahe collagenartig in ihrem Versuch, verschiedene Funktionen zu erfüllen, die sonst auf eine ganze Company verteilt sind: Gruppendynamik im Raum, das sexuelle und aufgeladene Spiel zwischen Mann und Frau, die Anbetung, Erwählung, die Opferung. Aber etwas blieb unfertig und unverbunden, trotz ihrer ernsthaften Bemühungen.  

Lea Moro aktualisiert die Frage nach Hingabe aber noch durch ein zusätzliches Element: Sie zieht eine Parallele vom Stammesritual zu der Musikkultur des Heavy Metal, mit seinen Codes, Gesten und Überzeugungen voller Dunkelheit und Macht. Und mit seiner Kraft, eine Anhängerschaft zu bilden und seinem Anspruch, die Musikperformance zum Gemeinschaftserlebnis werden zu lassen. Diese Mischung in SACRE erzeugt wiederum Witz, aber sie sagt auch: Wenn die Skepsis gegenüber der Erzählung und der Ekstase typisch für unsere Gesellschaft ist, dann ist die Sehnsucht nach authentischem Ritual, nach Entmündigung und Kontrolle durch Hingabe und nach Gemeinschaftserfahrung es aber auch.  

  • 1. Fotografie von André Uerba: SACRE, Lea Moro
  • 2. Fotografie von André Uerba: SACRE, Lea Moro
  • 3. Fotografie von André Uerba: SACRE, Lea Moro