Il était une fois...

Faustin Linyekula: Sur les traces de Dinozord  
Berlin, beim Foreign Affairs Festival,  04. Juli 2012
von Johanna Ziebritzki

 „Il était une fois…“ ein kongolesischer Künstler mit dem Namen Faustin Linyekula, der mit seinen engen Kinder- und Jugendfreunden gemeinsam in Berlin bei dem Foreign Affairs Festivals eine Geschichte erzählte. Sie handelt von seiner Welt. Von der, in der er aufgewachsen ist und in der er heute lebt. 

Von seinem Freund Kabako, der Schriftsteller war und an der Pest gestorben ist. Von seinem Freund Vumi, der wegen seines Widerstandes gegen das Regime und der Zugehörigkeit zur Rebellenbewegung zum Tode verurteilt wurde. Vumi konnte fliehen und ist jetzt in Schweden im Exil. Die Geschichte, die Linyekula erzählt, ist wie das Leben: nicht immer begreifbar, dafür aber immer verworren; nicht linear lesbar, sondern fragmentiert und voller unverständlicher Ereignisse und Gefühle, die einen prägen und zu dem werden lassen, was man ist, wen auch immer nur für einen Moment. Linyekula ist Künstler, aber sein menschliches Sein, seine Teilhabe an und seine Prägung durch die Gesellschaft in der er lebt, treten nicht hinter seine Kunst zurück, sondern sind der Inhalt ebendieser.  

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Linyekula erzählt seine Geschichte durch visuelle und akustische Bilder:      

          Die rote Kiste, die mit Kabakos Schriften gefüllt ist, wird ausgekippt. Die Zettel werden befreit, werden von den Freuden über den Boden verstreut. In diesen Haufen legt jemand ein Mikrofon. Es ist nichts zu hören, und doch spricht alles zu mir.     

          Zwei der Männer schubsen einen dritten leicht zwischen sich hin und her, während Vumi von seinen Erfahrungen im Gefängnis erzählt. Er berichtet detailliert von den grausamen Qualen und der Folter, die einem Jungen angetan wurden. Die einzelnen Zehennägel wurden ihm abgerissen, langsam. Der Dritte wird geschubst, immer wieder hin und her.      

          „Je suis Dinozord, le dernier de ma race. Je suis Dinozord, le dernier…“

          Die Männer haben ihre Gesichter weiß angemalt und stehen am hinteren Bühnenrand. Sie Beben am ganzen Körper und bewegen sich langsam – schüttelnd oder geschüttelt? – vorwärts. 

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Es sind diese Bilder, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt. Sie ist eine Erzählung über das Leben im Kongo, über die Freundschaft der Männer. Das Aufgeführte hat nichts deskriptives, sondern es ist zugleich was es darstellt. Kabako ist Tod, der Verlust und der Schmerz über den Verlust sind keine Fiktion. Die Unmenschlichkeit der Folter wurde erlebt. Die Erschütterung über das Erlebte findet auf der Bühne zur Sprache. Die Wut und der Schmerz, aber auch die Liebe der Männer zueinander werden von Linyekula in einer unglaublichen Dichte und Vielschichtigkeit aufgenommen. Am Ende verbeugen sich die Künstler nicht, sie positionieren sich in einer Ecke der Bühne und blicken in den ZuschauerInnenraum. Es ist seltsam zu klatschen. Vielleicht weil die Künstler nicht aus ihren Rollen treten. Dadurch dass sie sich nicht verbeugen, lösen sie sich nicht von der Figur, die sie für die Zeit der Aufführung waren. Sie sind diese Figuren. Der Künstler Linyekula übersetzt, was der Mensch Linyekula erlebt hat, in eine Sprache, die das Erlebte erzählbar macht. Die erzählte Geschichte kommt mit dem Ende der Aufführung nicht zu ihrem Ende.3   

Linyekula macht Kunst, die keine Anklage an die ehemaligen Imperialisten oder an die brutale heutige Regierung ist und auch keine Forderung oder Aufforderung an uns westeuropäische ZuschauerInnen enthält. Wir bekommen nicht das Klischee vom fremden wilden schwarzen Mann zu sehen, der faszinierend ist, der natürlich gut tanzen kann, der naturverbundene Traditionen und Riten hat…  

Die Faszination an der Aufführung sowie ihre Anziehungskraft basieren nicht auf dem Bestaunen der fremden, ursprünglichen Kultur, sondern in der Ehrlichkeit und Dringlichkeit, mit der Linyekula seine Geschichte erzählt. Das Herkunftsland der Künstler spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Linyekula arbeitet sich nicht an der Ungerechtigkeit ab. Nicht an dem skrupellosen Regime im Kongo, auch nicht an der brutalen Vergangenheit unter den Franzosen. Im Gegenteil: es beschäftigen ihn die einfachen menschlichen Fragen, die jeden Menschen bewegen, ungeachtet der Herkunft oder der Sozialisation. Die Fragen danach, wieso manche Menschen viel zu früh sterben. Danach, wie die noch Lebenden damit umgehen können. Danach, was Schmerz, körperlicher und seelischer, mit uns Menschen machen kann. Danach, was der Tod ist und was die Liebe sein kann.  

Die Wirkungskraft, die verzaubert, entspringt ebendieser Ehrlichkeit und Dringlichkeit seiner  Erzählung. Allgemein bekannte Gefühle werden gezeigt und schonungslos offengelegt. Vielleicht kommt die Kraft des Stückes eben daher, dass die – pathetisch gesprochen – großen Gefühle gezeigt werden, die wir kaum mehr zu sehen bekommen. Denn dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft negative Gefühle höchstens im Privaten gelebt werden. Öffentlich Schmerz oder Trauer zu zeigen widerspricht dem Ideal des sich permanent selbst kontrollierenden und optimierenden, d.h. funktionierenden Menschen.  

Linyekula lädt ein, zuzuhören und umgarnt die ZuschauerInnen dabei so fein und fest, dass am Ende der Erzählung das Gefühl bleibt, den Künstlern etwas zu schulden. Ich habe den starken Impuls, mich vor Ihnen zu verbeugen. Das übliche Verhalten, bei dem die KünstlerInnen etwas geben und die ZuschauerInnen dafür zahlen, nehmen und klatschen, scheint mir unangebracht. Ich fühle mich beschenkt. Gerade weil nichts gefordert, nichts erwartet, nichts kritisiert wird, sondern einfach nur erzählt. Eine Geschichte aus dem Leben, von der Freundschaft, dem Tod, der Angst, dem Schmerz und den bleibenden Fragen wird erzählt. Kunstsystemimmanente Diskurse spielen dabei gar keine Rolle. Linyekula spricht einfach von sich und seinen Freunden, von Individualschicksalen, die aber, ohne den Zeigefinger auf jemanden oder etwas zu richten, den Menschen an sich in all seiner Verzweiflung und Ekstase widerspiegeln.